Was Tina Turner mit dem VcA Tramprennen 2010 zu tun hat…
Montag, 23.08.2010, 05.45 Uhr – Gleich zwei Wecker reißen Tim und mich aus den Träumen einer viel zu kurzen Nacht. Mit halb geöffneten Augen ziehe ich das Rollo hoch und wage einen Blick durchs regennasse Fenster. Tiefgraue Wolken machen das Aufstehen nicht leicht, doch es nützt nichts – heute beginnt das Viva con Agua Tramprennen 2010!
Erste Etappe: Hamburg – Heidelberg!
Ich bin blutiger Tramp-Anfänger und kann nicht so ganz einschätzen, worauf ich mich eingelassen habe, als Tim mich fragte, ob ich nicht die erste Etappe mit ihm zusammen trampen möchte. Gedanken schwirren durch meinen Kopf. Trampen? Wie funktioniert das überhaupt? Wie spreche ich die Leute an? Wie werden sie reagieren? Was machen wir, wenn wir nicht wegkommen und stundenlang im Regen ausharren müssen? Zu viele Fragen für diese frühe Tageszeit! Ich beschließe mich einfach auf Tim zu verlassen. Er hat über die Jahre schon viele Tramp-Touren erfolgreich bewältigt und hat daher einiges an Erfahrung sammeln können. Also noch schnell unter die Dusche, Rucksack gepackt, eine Banane und einen Kaffee auf die Hand und schon machen wir uns auf in Richtung Millerntor, dem Startpunkt des Rennens. Da in morgendlicher Verplantheit Isomatte und das Zelt des Teams Bonnie & Clyde zuhause vergessen wurden, kommen wir einen Bus später als geplant und damit reichlich spät am Treffpunkt an. Die verschiedenen Teams aller Routen warten hier schon höchst motiviert auf den Startschuss. Karge Worte, Smalltalks – Rennatmosphäre liegt in der Luft – niemand will Strategie oder Startpunkt des eigenen Teams preisgeben. Es werden noch ein paar Fotos gemacht und dann ertönt er, der Startschuss zum Viva con Agua Tramprennen 2010.
Tim und ich haben uns für den Klassiker „Rasthof Stillhorn“ entschieden, dem einzigen Autobahn-Rasthof in Hamburg, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Da dieser Rasthof auch auf diversen Tramp-Webseiten als Tipp für einen schnellen Lift aufgeführt ist, rechnen wir damit, dass mehrere Teams dieses Ziel haben werden. Somit rennen wir nach Startschuss samt Rollstuhl, welcher für den Verein Rollis für Afrika nach Heidelberg mitgenommen wird, los Richtung U-Bahn Feldstraße. Das Team, das als erstes den Rasthof erreicht, darf sich einen Trampspot aussuchen und laut Spielregel darf ihm kein anderes Team diesen Platz streitig machen. Durch unsere Ortskundigkeit meistern wir den Part mit S-Bahn und Bus optimal und suchen uns als Spot die Zapfsäulen aus. Rucksäcke, Isomatten und den Rollstuhl stellen wir an die Seite und ich mache mich bereit, das erste Mal in meinem Leben einen fremden Autofahrer um einen „Lift“ zu bitten.
Die ersten drei Autofahrer reagieren freundlich, sagen aber, dass sie leider keinen Platz hätten, uns samt Gepäck und Rollstuhl mitzunehmen. Die positiven Reaktionen haben jedoch den Effekt, dass ich die anfänglichen Bedenken schnell vergesse. Der nächste Wagen ist eine schwarze Mercedes B-Klasse. Ein Mann mit weißem Hemd und Brille steigt aus dem Auto, greift nach dem Zapfhahn und fängt an seinen Tank zu füllen. Ich nutze diese Minuten um ihn anzusprechen. Der Name des Fahrers ist Roland, er ist sehr gut gelaunt und ist gerade auf dem Heimweg aus dem Urlaub. Roland arbeitet in der IT-Branche, hätte eigentlich heute Morgen einen Server abholen müssen und wollte eigentlich auch gar nicht am Rasthof Stillhorn halten. Da jedoch der Server nicht aus dem Serverschrank wollte und er doch hielt, hat Roland nach umlegen eines Rücksitzes Platz für uns, den Rollstuhl und unser Gepäck. Er teilt mir mit, dass er uns 500 km unserer insgesamt 580 km weiten Strecke mitnehmen kann, da er in Frankfurt wohnt.
Perfekter geht es nicht. Was für ein Glück! Als ich Tim die Nachricht überbringe, glaubt er mir zuerst kein Wort, steigt jedoch nach Rolands Bestätigung voller Euphorie und Siegessicherheit samt Rollstuhl in den Wagen. Diverse monsunartige Regenschauer begleiten uns auf unserer Reise Richtung Süden und wir sind einfach nur froh, diese im warmen Auto und nicht draußen an einem Rastplatz miterleben zu dürfen. Roland ist super nett und verzichtet während der Fahrt sogar auf das Rauchen im Auto. Da so eine lange Fahrt für einen Raucher aber auch nicht ganz ohne Tabakgenuss zu bewältigen ist, führt uns eine unserer Pausen auf den Rasthof in Kirchheim.
Als wir aus dem Auto steigen, trauen wir unseren Augen nicht. Hanjo vom Team Safaritanten steht im vor dem Rasthofeingang und grinst uns zufrieden an. Wie kann das sein? Wie sind die so schnell hierher gekommen? Für uns ist doch bis jetzt alles mehr als optimal gelaufen! Ist der sicher geglaubte Sieg nun doch in Gefahr? Hanjo kann sich das Schmunzeln nicht verkneifen und erzählt, dass sie einen Direktlift von Hamburg nach Heidelberg ergattert haben. Schlagartige Stille. In Frankfurt einen Anschlusslift zu bekommen und noch vor den Safaritanten am Zielpunkt anzukommen ist einfach utopisch! Enttäuscht schlendern wir zum Auto zurück und berichten Roland die schlechte Nachricht. Man merkt Rolands Reaktion, dass er ebenfalls enttäuscht ist. Er ist von der Idee des Tramprennens begeistert und war froh uns heute so ein enormes Stück zum Sieg beizutragen.
Als der Motor wieder startet herrscht Stille im Auto. Nach ca. einem Kilometer überholt uns das Auto mit den Safaritanten an Bord. Während des Überholungsmanövers filmt Hanjo lachend unseren Wagen. Rolands Blick wird ernster. Nach kurzer Denkpause tippt Roland auf einmal auf die Bedienknöpfe seines Navigationssystems und verlangt nach der genauen Adresse des Zielorts. Wir spüren, dass nun auch Roland das Fieber des Tramprennens vollends gepackt hat. Mit den Worten: „Jungs, ich will unbedingt deren Gesichter sehen, wenn die dort als zweites ankommen!“ drückt Roland aufs Gaspedal. Drei breit grinsende Gesichter überholen das Auto der Safaritanten und Roland nimmt voller Rennfreude den knapp 150 km Umweg für uns in Kauf. Als wir in die Zielstraße einbiegen, durchsucht Roland auf einmal wie wild den CD-Wechsler nach einem bestimmten Song ab. Nach erfolgreicher Suche beschallt plötzlich „Simply the best“ von Tina Turner den Innenraum der schwarzen B-Klasse und wir rollen zwei Minuten vor den Safaritanten am Kosmodrom, dem Zielpunkt des Rennens – als Tagessieger ohne und außer Konkurrenz in Heidelberg ein.
Dieser Songtitel ist als das optimale Resümee diese Fahrt!
Roland, du warst einfach der beste Lift, den wir an diesem Tag bekommen konnten. Vielen, vielen Dank für diese wunderbare Tramp-Erfahrung und die perfekte Siegesfahrt!
Lars & Tim
Hallo Ihr Beiden,
Euren Bericht lese ich gerade erst und musste bei der Lektüre sehr schmunzeln. Mir hat die Aktion Riesenspaß gemacht und ich danke Euch beiden für eine unterhaltsame Fahrt mit 2 netten Fahrgästen. Es ist nämlich immer so: Wie man in den Wald reinruft, so schallt es auch wieder heraus.
Wenn ich das nächste Mal in Hamburg bin, werde ich bestimmt wieder Stillhorn ansteuern und falls Ihr dann wieder auf Tour seid, nehme ich Euch gerne wieder mit.
Viele Grüße,
Roland