TR-Adventskalender #24

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#24: Robert

Heute ist Weihnachten, und was macht man am besten an Heilig Abend wenn man alleine zu Hause rumsitzt?

Richtig, man geht in die Kneipe. So war es irgendwann in den Mitt-2000ern, dass ich mich am 24.12. auf den Weg machte, um gegen 16 Uhr eine schöne Kneipe in der Dresdener Innenstadt zu finden, welche mir die für diesen heiligen Tag notwendige Salbung verschafft. Auf dem Weg in die Neustadt kam mir der Gedanke, dass an diesem besonderen Tag auch besondere Kneipen besucht werden sollten und um diese zu finden suchte ich nach Leuten, die ebenfalls zu ehren Christie Geburt sich gerne einen überhelfen.

Noch im überlegen wen ich Fragen sollte, bemerkte ich kaum, dass sich mein bereits durch ein paar Glühwein recht euphorischer Körper und Geist in Richtung Hansastraße bewegte und ich der um diese Zeit bereits leeren Straße meinen Daumen entgegenstreckte. 10 Minuten später sah ich 2 Lichter in der Ferne, die das erste Auto ankündigten, welches stadtauswärts fuhr. Siegessicher ragte ihm mein trampfreudiger Daumen entgegen und tatsächlich bewegte meine Erscheinung den Fahrer zum Anhalten.

Irgendwie wusste ich nicht so recht wie ich dem Fahrer vermitteln sollte, dass ich eigentlich nur eine nette gastronomische Einrichtung aufsuchen möchte. So meinte ich zu ihm, mich in Lügen verstrickend, ich wolle meine Oma besuchen, die in der Nähe von Görlitz wohnen würde. Da sein Kennzeichen auf Görlitz hinwies lag ich richtig, dass dies mein Ziel werden sollte. Die göttliche Fügung ereilte mich, als sich nach dem ersten bisschen Smalltalk herausstellte dass der Fahrer einfach nur in seine Heimatstadt Görlitz fahren wollte, um dort den restlichen Abend die Bilanzen einer bierausschenkenden Einrichtung zu verbessern. Voller Erleichterung rettete ich mich mit der Bekennung meiner frevelhaften Lüge und der Feststellung, dass wir wunderbarerweise das gleiche Ziel anstrebten.

Dies sollte der Beginn eines exzessiven Abends in den Kneipen von Görlitz sein, mit dem Ende in einem fremden Bett in einer leeren Wohnung.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen einen gleichwohl wohlgesonnenen Geist der Weihnacht.

TR-Adventskalender #23

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#23: Stefan

Scheiße. Die Sonne geht schon unter. Und keiner hält an. Wirklich niemand halt an dieser verfickten Stelle an. Auffahrt Leipzig Nord-Ost auf dem Weg nach Dresden. Ich stehe hier schon seit mehreren Stunden. Es ist kalt. Abgase umgeben mich. Ständig nervig, laute Autos, die an mir vorbeiziehen. Ich bin frustriert. Keiner liebt mich. Und das soll also trampen sein?

Ich beschließe nach Hause zu gehen. Hat doch keinen Sinn hier. Trampen, das funktioniert doch gar nicht! Und nun wieder den ganzen Weg zurück in die Stadt. Was für eine Blamage. Ich bleib hier noch kurz stehen, damit ich mich weiter ärgern kann. Und irgendwie hab ich auch gerade keinen Bock auf irgendwas. Was mach ich hier eigentlich? Hätte ich doch, mal eine Mitfahrgelegenheit…….zzzzziip. Hält das Auto da wirklich an? Ja, es hat angehalten. Renn los du Taugenichts! Es hat wirklich angehalten! Unglaublich….

Ein Studienkollege hatte mich zwei Wochen vorher motiviert, mich in dieses Abenteuer zu stürzen. „Trampen ist cool, mach das doch mal!“ Machte Sinn für mich. Er erzählte gerade, wie er von Hamburg nach Leipzig im Anzug getrampt ist und wie toll das funktioniert hätte. Auftreten und Haltung. So wichtig beim Trampen. Ich sollte das sehr bald verinnerlicht haben. Zehn Jahre ist das nun her. Vor zehn Jahren wäre ich fast wieder umgedreht und zurück nach Hause gegangen. Vor zehn Jahren hat sich etwas ereignet, was mein Leben komplett verändert hat. Diese Frau hat angehalten und mich mitgenommen.

Ich kann mich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Es war ein kleines, älteres Auto. Farbe Rot, wahrscheinlich ein Renault. Sie hatte angolanische Wurzeln, arbeitete als Friseuse und war auf dem Weg Richtung Pirna. An Dresden vorbei. Genau da, wo ich hin wollte. Direktlift in der Dämmerung. Was ein Glück. Falls du, meine liebe Fahrerin, das hier lesen solltest, sag ich nochmal Danke. Ich bin so froh, dass du angehalten hast und mir die Möglichkeit gegeben hast, diese Erfahrung zu machen. Die war rückblickend so wichtig für mich!

Die Fahrt war sehr nett. Wir unterhielten uns über dies uns das. Nicht das ich mich noch an irgendwelche Details erinnern konnte, aber an das Gefühl und das war gut. Ich freute mich wahrscheinlich wie Bolle, dass es wirklich funktioniert hat. Es hat geklappt, dieses Trampen. Wer hätte das gedacht. Ich musste nach Dresden rein. Die Autobahn lag aber am Stadtrand. Weit entfernt vom Zentrum. Natürlich hatte ich mir über solche Nebensächlichkeiten zu dieser Zeit noch keine Gedanken gemacht. Musste ich an diesem Tag auch nicht.

Meine Fahrerin machte einen großen Umweg für mich und fuhr den ganzen Weg in die Stadt rein. Ich wurde direkt am Hauptbahnhof herausgelassen. So nett! Und dann geschah etwas, was mir noch sehr oft in meinem Leben passieren sollte. Sie fragte mich, ob ich denn Geld für die Bahn hätte. Ich meinte, ohne groß darüber nachzudenken, dass ich kein Bargeld dabei hab, aber das ja kein Problem ist, weil ich Geld am Automaten abheben könnte. Wir erreichten den Bahnhof. Ich bedankte mich und war schon fast auf meinem Weg nach draußen. Auf einmal zog sie einen 10 Euro Schein aus ihrer Tasche. „Hier.“ „Oh nein, Danke, aber das ist nicht nötig. Ich kann mir doch Geld holen.“ „Na komm, meinem Sohn hätte ich es auch gegeben.“ Wer kann bei dieser Reaktion noch ablehnen? Ich war völligst gerührt, hab die zehn Euro eingesteckt und bin ausgestiegen.

Die 10 Euro waren nicht so wichtig. Es ist auch egal, ob Menschen mir Geld, Essen, Bustickets, Selfie-Sticks oder Umarmungen schenken. Es geht um was anderes: Andere freut es, wenn sie euch einen Gefallen tun können. Und ich möchte diese Freude anderen Menschen ermöglichen. Es ist ein Akt der Nächstenliebe zwischen Fremden. Und diese Verbindung begab sich, weil wir für kurze Zeit zusammen in die gleiche Richtung gefahren sind. Sie hat mich wie ihren Sohne behandelt. Das hat mich tief berührt. Das ist eigentlich das wunderbare am Trampen. Diese zufälligen Begegnungen mit anderen Menschen, mit denen man eine herzliche und unvoreingenommene Verbindung eingehen darf. Ich bin in den letzten 10 Jahren mit vielen Personen gefahren, die aus einem komplett unterschiedlichen Kontext gekommen sind und mit denen ich im normalen Leben wahrscheinlich nie geredet hätte. Und ich hab mich immer wieder überraschen und beeindrucken lassen. Weil jeder hat etwas interessantes an sich hat. Und weil jeder es Wert ist, geliebt zu werden. Mein erstes Trampen hat definitiv den Grundstein für diese Haltung gelegt.

Ich trampe nicht nur aus Spaß an der Freude. Trampen war jahrelang Lifestyle für mich. Bewegung hieß Trampen. Ich hatte jahrelang ein Auto und trotzdem: Trampen musste sein. Immer und überall hin. Es gab keine wirkliche Überlegung zu dieser Angewohnheit, ich hab es einfach gemacht. Und wenn ich nun zurückblicke, dann hat mir dieser Lifestyle einiges ermöglicht. Wir haben irgendwann die Deutsche Trampsport Gemeinschaft gegründet und erkunden Deutschland mit dem Daumen. Im Oktober 2014 bin ich schließlich zu meiner Weltumtrampung aufgebrochen. 22 Monate, 58 Länder und 109.000 km später sitze ich wieder zu Hause. Keine Ahnung, wie das alles so eskalieren konnte. Aber es hat mein Leben so unglaublich bereichert. Und ich weiß, wann das angefangen hat: Als dieser wundervolle und herzliche Mensch an einem Sommertag 2006 an der Auffahrt Leipzig Nord-Ost in der Dämmerung angehalten hat, um einen Fremden mitzunehmen. Sharing is caring! Und kleine Gesten können im Leben der Anderen große Auswirkungen haben!

TR-Adventskalender #22

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#22: Hauke

Wunderbar. Angekommen in Berlin. Lief doch ganz gut!

Damit es läuft, sollte und wollte ich einige kleine Dinge beachten, denn viele Regeln gibt’s beim Trampen nicht. Eigentlich nur eine: du kommst immer weg. Was mich zur logischen Schlussfolgerung bringt: du kommst auch irgendwann an. Immer.

Das zumindest hatte ich nun geschafft bei meinem ersten Mal trampen.

Mai oder Juni 2008 war‘s und ich wollte vom ‚Grünen Herzen‘ in Kiel zum Couchsurfing Beach Camp nach Berlin.

Damit die eine Regel aber überhaupt ermöglicht werden kann, gibt es wie angedeutet schon ein paar einfache Dinge zu beachten – was sollte ich tun, was besser nicht.

Mit wild schlagender Pumpe machte ich mich auf den Weg zu meinem ausgewählten Spot, hatte ein schickes, gut lesbares ‚Berlin‘-Schild gemalt, meinen dicken Rucksack samt Zelt dabei und stand so wie der letzte Klischee-Tramper am Straßenrand. Gut sichtbar für alle Autos und mit massig Platz zum Anhalten. So weit, so gut. Das waren die ersten Dinge, auf die ich achten sollte. Wuddich und Malte waren schon vorgetrampt und gaben mir solche Hinweise am Tag vorher.

Ganz Klischee hielt nach 4 Minuten mein allererster Lift überhaupt: ein alter Bulli. Ich rein in den Bulli und ab auf die B404 in Richtung Berlin. Das Ganze Vergnügen ging keine Stunde und ich stand wieder draußen irgendwo im nirgendwo zwischen Bad Segeberg und Bad Oldesloe. Direkt hinter der Leitplanke an einer verengten 404-Baustellenstraße. Dass ich beim Einsteigen mal hätte fragen können, wo es denn genau hingeht… naja.

Hinweis 2 von Wuddich und Malte erschien prompt beim Aussteigen aus dem Bulli via SMS auf meinem Nokia 3210: „Lass dich irgendwo rausschmeißen, wo die Leute gut anhalten können.“ Touché.

Das Glück ist ja aber bekanntlich mit den Doofen und so saß ich keine 2 Minuten später bei einem Bundeswehrsoldaten mit im Auto auf dem Weg Richtung Berlin. Reichlich diffuses Gerede später musste er von der Autobahn abfahren und ließ mich an einer Tankstelle raus. In diesem Moment erreichte mich Hinweis 3:

„Achso, und wenn du nochmal umsteigen musst, dann lass dich auf jeden Fall an Raststätten direkt an der Autobahn und nicht an Autohöfen raus!! Da kommst du nicht weg.“

Tanken konnte man hier, direkt an der Autobahn sieht allerdings deutlich anders aus.

Danke für nichts, Jungs!

Also sabbelte ich die spärlich vorhandenen Autofahrer an und hatte bei einem jungen Berliner Pärchen Glück, musste aber noch 10 Minuten warten bis es losgehen konnte. Grund hierfür war das ausgeprägte Gesundheitsbewusstsein der Freundin: erst mit viel Betonung den Salat von McDonald‘s auffuttern („der Ganze andere ungesunde Scheiß geht gar nicht!“), gefolgt vom wegschmökern der Mentholkippe. Alles vor dem Wagen, denn drinnen durfte nicht geraucht werden. Einmal im Auto, verstummten sofort alle Gespräche aller Insassen mit- und untereinander, Techno wurde aufgedreht und ab ging die wilde Fahrt nach Berlin. Irgendwann hörte ich zwischen dem Ballern der 5000W Bass Machine ein kleines Piepen und sah Hinweis 4 auf meinem Handy: „Wenn du in Berlin bist, fahr mit der UBahn zum Bahnhof soundso (vergessen), von da können wir zu Fuß zum Camp.“

Keine 15 Minuten später fuhr der BMW unter Getöse an genau diesem Bahnhof vorbei – die beiden ließen mich raus und ich war angekommen in Berlin beim Camp. Wunderbar.

Dort passierten skurrile Dinge – unter anderem liefen wir unbewusst Pascal Pernod über den Weg, der ~3 Monate später auf dem ersten Tramprennen alle Teilnehmer bei sich in Lausanne übernachten ließ. Das wir zeitgleich am selben Ort in Berlin waren, stellten wir aber erst ein paar Jahre später fest. Ein anderer Future-Host war unser Nachbar‚Ich-koche-Kaffee-mit-Wodka‘-Mario, der wiederum 2009 in Linz die komplette Crew in einer Pfadfinderhütte unterbrachte.

Wie die Rückfahrt verlief, weiß ich nicht mehr. Bin auf jeden Fall angekommen.

 

 

TR-Adventskalender #21

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#21: Johannes

Es ist schon fast vermessen zu sagen, dass ich per Anhalter „gereist“ bin, als ich das erste Mal beschloss meinen Daumen am Straßenrand auszustrecken und auf einen Lift zu warten.
Es war im August 2011 und ich hatte gerade mein Physik Studium in Berlin nach zwei Semestern abgebrochen – zusätzlich zu den Semesterferien somit auch noch weniger Sorgen was Hausarbeiten o.Ä. angeht. Viel Zeit also, um mal ein bisschen durch Deutschland zu reisen und Freunde zu besuchen.

Eine dieser Reisen brachte mich in die kuriose Lage, in einer Kaserne der Bundeswehrakademie in Hamburg zu übernachten. Ein guter Schulfreund hatte beschlossen für das Studium diesen, für mich nicht ganz nachvollziehbaren, Weg zu gehen. Bei meinem Besuch eröffnete er mir dann auch, dass ein Freund von ihm kürzlich ausgezogen war und sein Zimmer noch frei sei – ich hatte also ein Kasernenzimmer für mich. Was folgte, waren drei Tage mit ein paar interessanten Begegnungen und Gesprächen, sowie irritierte Reaktionen aufgrund meiner sichtlichen Nicht-Zugehörigkeit. Aber da es hier um mein erstes Mal Trampen und nicht um drei Tage in einer Bundeswehrkaserne gehen soll, gehe ich da nicht weiter ins Detail.

Nach diesen Tagen, in denen ich natürlich auch einiges von der Hamburger Stadt gesehen habe und einmal am Elbstrand komplett nass geworden bin, ohne einen Fuß ins Wasser zu setzen, ging es für mich erstmal zurück nach Berlin. Die Frage war nur noch wie. Normalerweise wäre ich zu diesem Punkt auf eine Mitfahr-Plattform gegangen, aber ich war im Abenteuer-Modus. Ich hatte Zeit, die Strecke ist gut befahren, einen Edding hatte ich auch dabei – also trampen, dass erste Mal.

Das ich überhaupt auf die Idee kam, lag vor allem daran, dass ich ein paar Monate zuvor beim Weltwassertag auf einer kleinen Demo die Leute von Viva con Agua kennengelernt hatte. Nach einigen Aktionen und Treffen viel mir schnell auf, dass trampen bei vielen von ihnen eine gängige Art des Reisens war. Für mich war es bis dahin noch mehr ein „Steig nicht bei fremden Leuten ins Auto, wer weiß was da alles passieren kann“-Gefühl. Ich war da vor allem geprägt durch die sehr behütete und misstrauische Art meiner Erziehung auf dem Thüringer Dorf.

Die Vorbereitungen waren schnell gemacht – einen alten Sherry Karton aus der Kaserne als Pappe genommen und auf Hitchwiki nachgeschaut, wo der beste Spot nach Berlin ist. Da es eine belebte Strecke ist musste ich nicht lange suchen und fand schnell den Horner Kreisel als besten Liftpoint, einen Kreisel direkt vor der Autobahnauffahrt nach Berlin. Noch schnell die Verbindung mit den Öffentlichen von der Kaserne bis dorthin gecheckt und los ging’s.

Am Kreisel angekommen, war dann auch schnell der beste Platz zum Warten gefunden. Ein guter Indikator waren dabei die Aufkleber und Schriftzüge auf einer großen Säule, die ziemlich klar darauf hinwiesen, dass man hier gut trampen kann. Für Autofahrer gab es ein paar Meter hinter der Säule eine Bushaltestelle, in der sie ohne Probleme anhalten konnten. Immer noch etwas unsicher packte ich meine Pappe aus und schrieb in großen Lettern „BERLIN“ darauf. Es folgte der Punkt, der für mich die größte Überwindung erforderte: mich einfach so mit dem Schild an die Straße stellen, freundlich gucken, Daumen raus halten und hoffen das irgendwer anhält.

So stand ich dann also da, innerlich noch unsicher ob die ganze Sache wirklich funktioniert. Doch bevor ich zwei Mal drüber nachdenken konnte hielt schon ein Mini Cooper neben mir. Etwas ungläubig, dass es so einfach gewesen sein soll, packte ich meine Sachen und ging zur Beifahrertür. Der Fahrer, geschätzt Mitte 40, sagte mir gleich, dass er nach Berlin fährt und fragte, ob ich mit will. Da mein Bauchgefühl keine Probleme mit ihm zu haben schien, warf ich meine Sachen auf den Rücksitz und stieg ein. Was folgte waren ca. drei Stunden Autofahrt mit netter Unterhaltung, einem kleinen Zwischenstopp (bei dem der Fahrer überrascht war, dass ich keine Angst hatte, dass er einfach mit meinen Sachen abhaut) und der ersten getrampten Strecke meines Lebens.

Ich würde gerne noch beschreiben, wie abenteuerlich die Fahrt war, aber alles, was es gefühlt von einer Mitfahrgelegenheit unterschied, war die Zufälligkeit am Anfang, das leere Auto und das fehlende Entgelt. Ich hatte zwar auch schon wirklich nette Mitfahrgelegenheiten aber bei diesem Lift hatte ich das Gefühl, dass die Atmosphäre allgemein gleich etwas freundlicher war, vor allem dadurch, dass der Fahrer früher selbst oft getrampt ist und somit gleich einige Geschichten erzählen konnte.

Dass es auch etwas anders laufen kann und eigentlich jede Fahrt anders ist, habe ich danach noch bei meinen vielen weiteren Reisen per Daumen erfahren. Aber was immer blieb und bleibt ist das Gefühl am Ende des Tages, neue Menschen kennengelernt zu haben.

 

TR-Adventskalender #20

#20: Audrey

Das erste Mal, dass ich getrampt bin, war im Sommer 2011. Ich kam gerade als französische Austauschstudentin in Kiel an. Durch Couchsurfing habe ich ein paar wirklich coole deutsche Hippies kennengelernt, die bei Viva con Agua, einer deutschen NGO, aktiv waren. Die haben die ganze Zeit über eine Aktion geredet: Das Tramprennen. Ich hatte keine Vorstellung, worum es dabei ging und erst nachdem sie mir ein paar Videos von der Straße gezeigt hatten, habe ich verstanden, dass es sich um stolze Tramper handelte. Es war das allererste Mal, dass ich Menschen getroffen habe, die das Trampen als Sache an sich feierten und die es nicht nur aus der Notwendigkeit heraus betrieben. Das fand ich zunächst eher verstörend als cool.

Mein erstes Mal verlief dann so: Wir waren in der tschechischen Hauptstadt Prag und wollten zurück nach Kiel zur Kieler Woche. Mit meiner Freundin Camille wurde ich an einer Tankstelle außerhalb der Stadt abgesetzt. Es war noch früh am Morgen und wir hatten keine Ahnung, was wir da gerade machten. Aber wir hatten die leichte Hoffnung, dass wir es vor Einbruch der Dunkelheit nach Kiel schaffen könnten.

Wir waren zwei Frauen, besaßen keine Karte und zusammen nur ein Handy, also haben wir über ein paar Sicherheitsregeln nachgedacht. Eine davon war, dass wir, egal was passieren würde, zusammen bleiben, eine andere war, dass wir es uns sofort sagen würden, wenn wir uns unsicher fühlen.

Kaum hatten wir unser Schild ein paar Minuten hochgehalten, stoppte auch schon ein riesiger LKW. Der Fahrer, ein älterer Mann, sprach Deutsch und sagte: Hey Mädels, wir fahren nach Deutschland, ihr könnt mitkommen! Ein Mädel kommt mit mir, das andere kann mit dem Truck hinten mitfahren.“ In dem Moment sahen wir einen weiteren riesigen Truck, dessen Fahrer uns bereits eifrig winkte. Ich bedankte mich höflich und ergänzte: „Wir können leider nicht mitkommen, wir wollen zusammenbleiben.“

Zu spät! Camille rannte vor lauter Glück, dass so schnell jemand anhielt, mit ihrem Rucksack schon zu dem anderen LKW. Als ich also im LKW platznahm offenbarte mir der Fahrer direkt, wie gern er französische Mädchen hat, seit er eine Affäre mit einer Frau namens Nathalie hatte. Nach diesem unheimlichen Start erinnerte ich mich daran, wie sehr ich das Gefühl mag, von oben herab auf die Straße und die anderen Autos zu schauen. Ich mochte es auch, dass mich der LKW-Fahrer quasi in sein Wohnzimmer eingeladen hat, er bot mir Kaffee, Plätzchen und Zigaretten während der Fahrt an. Wir sprachen über seine Familie in Polen und hörten polnische Oldschool Popmusik. Ich schaute dennoch die ganze Zeit besorgt in den Spiegel und hatte Angst, dass Camilles LKW verschwinden könnte. Doch dem war nicht so, die beiden Trucks lieferten sich auf der Autobahn ein Rennen und überholten sich gegenseitig. An das Tempolimit verschwendete ich keinen Gedanken, ich war einfach froh, Camilles lachendes Gesicht jedes Mal zu sehen, wenn wir uns überholten.

Ein paar Stunden später hielten wir zusammen an und die beiden Fahrer teilten ihr Essen mit uns. Camilles Fahrer war super nett, aber auch er hatte seine ganze Fahrerkabine mit Postern nackter Frauen tapeziert. Sie hat alles im Griff, sagte Camille.

Sechs Stunden später ließen sie uns in Leipzig raus und wir setzten unseren Weg nach Kiel fort, ohne einmal mehr als fünf Minuten warten zu müssen. Selbst während unserer Pause wurden wir von einer Familie gestört, die uns fragte, wo wir denn hinwollen. Am Ende des Tages haben uns ein paar Leute trotz 200km Umweg extra nach Kiel gefahren und dort mit uns die ganze Nacht gefeiert.

Es war der erste Tag meiner langen Geschichte mit dem Reisen per Anhalter. Unterwegs kann alles passieren, ganz besonders großartige Erfahrungen und zufällige, lustige Begegnungen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie meine letzten fünf Jahre ohne Trampen gewesen wären. Ich gewann Geduld, ich lernte es, Fehler und falsche Entscheidungen zu akzeptieren, auf meinen Bauch zu hören und genügsam zu sein.

Und nicht zuletzt habe ich, als ich Grenzen einfach so passierte und überall willkommen geheißen wurde, herausgefunden, wie privilegiert ich eigentlich bin. Während dem Tramprennen 2015 trafen wir auf dem Weg nach Albanien unzählige Gruppen, die entlang der Bahnschienen nach Norden liefen, während unsere netten Fahrer in ihren gut klimatisierten Fahrzeugen furchtbare rassistische Kommentare machten.

Die Welt gehört dir, wenn du trampst, aber das nur als weißer Europäer bzw. Westlicher.

Ok, um ehrlich zu sein bin ich nicht so wirklich weiß, aber es ist ein Fakt, dass Menschen aus anderen Ländern mir gegenüber deutlich gastfreundlicher sind, als sie es noch eine Generation früher mit meinem Vater waren oder als sie es jetzt mit den nach Europa fliehenden Menschen sind.

Jetzt bleibt die Frage: Willst du deine Privilegien nutzen, um fernzusehen? Oder willst du deine Grenzen ausprobieren und die Welt kennenlernen? Es gibt keinen Grund sich schuldig oder schlecht dafür zu fühlen, mach dich auf den Weg, auf geht’s!