Das Tramprennen 2016 ist Geschichte – Und auch drei Wochen und etliche Tramptage nach der Ankunft in Tsigov Chark fällt es uns schwer, das in Worte zu packen, was da in den letzten Wochen, gefühlt Monaten, zwischen Halle, Freising, Leutkirch, Innsbruck und Tsigov Chark alles passiert ist.
Begegnungen, tausende an der Zahl; Austausch in all seinen Formen: Ob beim Albatross, Raki oder Palinka, beim Fluchen am Spot oder bei der Diskussion über die europäische Einwanderungspolitik im Auto; Emotionen, Freude, Frust, Freude, Verzweiflung, noch größere Freude, Erinnerungen, Anregungen, Verstörendes, Beflügelndes, Anrührendes, – kurz: Der ganz normale Wahnsinn, der einem so widerfährt, wenn man sich einfach mal traut, wenn man dem Zufall eine Chance gibt und zwei Wochen lang mit dem Daumen und einer Gruppe Freaks quer durch Europa reist.
Die Bilder der Ankunft am Zielort haben sich schon jetzt so fest eingebrannt, dass sie unser Gedächtnis wohl nie mehr verlassen werden. Der Moment als wirklich alle da waren, als sich das letzte Team tatsächlich selbst ins Ziel gefahren hat, die unüberblickbare Anzahl von Rucksäcken, knutschende Menschen überall, ein das alles feiernder Bulle, ein Imbissbesitzer, der nicht nur 200 Pizzen, sondern mindestens genauso viele Videos von vor Freude strahlenden Hippies, Freaks, Ärzt_innen, Studierenden, Ingenieur_innen, Musiker_innen, Arbeitslosen, was auch immer gemacht hat. Momente, in denen alles unfassbar und doch einfach gut und schön wirkt, in denen Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft auf Offenheit und Dankbarkeit treffen und die Welt irgendwie doch wie ein Ort wirkt, in dem Mensch leben möchte.
Dann ein Tag am See, 30 neue Frisuren, Babys (womöglich), Tattoos, Geschichten, Anekdoten, Komisches, eine Siegerehrung, die einfach nur schön war, ein Facebook-Livestream der mehr Himmel als Tue gezeigt hat und trotzdem eine kleine Portion der Hippiekacke in die Welt getragen hat, die wir bis in den Morgen am Lagerfeuer und überall in Tsigov Chark erlebt und zelebriert haben.
Der nächste Morgen, wenn die Christo und Jana vom Campingplatz sowie alle Dauercampenden berichten, wie großartig sie unsere Gruppe und unsere Aktion finden, wenn quasi kein Müll liegen bleibt, wenn trotz fehlender Liste alle das Geld für den Campingplatz gezahlt haben, wenn sich nach und nach alle per Anhalter aufmachen in die verschiedensten Richtungen und am Abend trotzdem noch 30 Teilnehmende bleiben, zusammen grillen und gesittet den letzten Albatross genießen, während ein 70-jähriger, überaus sympathischer Radfahrer aus der Schweiz, gerade unterwegs vom Nordkap nach Südafrika, der einzige ist, der alles vollkotzt, dann ist das einfach mal verdammt schön! (dem Radler gings am nächsten Morgen wieder gut, keine Sorge). .
Das Tramprennen war auch in diesem Jahr wieder einmalige Bühne für Großartiges, für Zufälle, für Dinge, die man Filmen nie glauben würde, für neue Freundschaften, für Hippiekacke und noch tausend andere Dinge, so haben wir es zumindest empfunden.
Möglich gemacht nicht durch die perfekte Planung einer Eventagentur, sondern durch euch alle, und damit alle Menschen, die in irgendeiner Form am Tramprennen 2016 beteiligt waren! Über 150 Tramper_innen auf sechs verschiedenen Routen, die alle ein ganz eigenes Tramprennen kreiert und erlebt haben, mindestens 2000 Fahrer_innen, die nicht besorgt weitergefahren sind, sondern die ihre Tür geöffnet, uns Vertrauen geschenkt und uns damit geholfen haben, und die uns in ganz vielen Fällen enorm bereichert haben, etliche Gastgeber_innen, egal ob es die Familie vom Bürgermeister, eine Gruppe Hausbesetzer_innen oder einfach nur ganz normale Bewohner_innen waren, die mal eben 25 oder ganz und gar 50 Leute bei sich aufgenommen haben und uns mit Gastfreundschaft geradezu überhäuft haben, allen Leuten, sie uns unterwegs geholfen haben, auch wenn sie aus 3km Entfernung gerne mal 300m gemacht haben und natürlich die 460 Sponsoren, die es möglich gemacht haben, dass neben dem ganzen Spaß, dem Austausch, den unschätzbar vielen Erfahrungen auch eine ganze Menge Kohle zusammen gekommen ist, die konkret für eminent wichtige Projekte eingesetzt werden kann.
Da wären wir auch schon beim unfassbaren Rekord: Noch nie in der bald zehnjährigen Geschichte des Tramprennens konnten wir uns über mehr als 18.000€!!! Spenden freuen, die je zu Hälfte unseren Partnerorganisationen Viva con Agua und PRO ASYL zu Gute kommen. Das, bzw. Ihr alle seid einfach nur der Wahnsinn! Eine Summe mit der beide Vereine sehr, sehr viel anfangen können! Was konkret, darüber werden wir, so zumindest die Idee, in den kommenden Wochen bei uns im Blog berichten.
Nicht vergessen werden wir auf jeden Fall die zahlreichen Momente, in denen sich Fahrer_innen über Geflüchtete aufgeregt und Stereotypen abgefeuert haben und wir entgegnen konnten, dass wir für offene Grenzen und für ein menschenwürdiges Asylrecht unterwegs sind und die Mitnehmenden das durch ihre Geste der Hilfsbereitschaft quasi direkt unterstützen. Das hatte, bei aller Traurigkeit der ganzen Situation, auch etwas Schönes.
Und doch hat es einen immer wieder nahezu umgeworfen, mit was für Vorurteilen wir konfrontiert wurden. Vorurteilen gegenüber Gypsies, gegenüber Geflüchteten, Vorurteilen gegen Muslimen usw.. Begründet meist durch untragbare Argumente, die sich nicht mal eben schnell aus der Welt schaffen lassen, die sich aber, sobald sie kritisch hinterfragt werden, schnell als dumpfe, nicht objektiv-begründbare Angstmache erweisen. Und wir geben die Hoffnung nicht auf, dass die Begegnungen, der Austausch, das Kennenlernen wenigstens ein kleines bisschen dazu beitragen kann, dass sich menschenfreundlichere Ansichten weiterverbreiten.
Neben diesen Negativerfahrungen gab es auch in diesem Jahr, trotz allem Positiven was uns widerfahren ist, konkrete sexistische und rassistische Handlungen, die Teilnehmende nicht gehäuft, aber, da jede diskriminierende Erfahrung eine zu viel ist, zu oft erfahren haben. Es ging damit los, dass Teams nicht mitgenommen wurden, sobald ein männliches Teammitglied gesehen wurde. Schlimm wurde es, als Teilnehmende von Mitnehmenden ganz und gar körperlich belästigt wurden.
Andere Teilnehmende wurden aufgrund ihres Aussehens nicht mitgenommen und an den Grenzen gezielt verschärft kontrolliert und gar schikaniert. Es sind Erfahrungen, die es nicht oft, aber leider nahezu überall immer wieder gibt. Erfahrungen, die uns wieder einmal bewusst machen, wo wir gesellschaftlich stehen und wie wichtig der tagtägliche Kampf gegen jede Form von Diskriminierung ist!
Wir wollen diese Erfahrungen nicht kleinreden und sie schon gar nicht von all den tausenden positiven Erfahrungen verdecken lassen, wir wollen uns das Projekt aber auch nicht davon vermiesen lassen sondern wir wollen sie nutzen, um in Zukunft noch stärker, auch in Verbindung mit unseren Partnerorganisationen, gegen jede Form der Diskriminierung zu kämpfen!
Motivation dafür sind allein schon die tausenden Gegenbeispiele, in denen wir Hilfsbereitschaft, Toleranz und Gastfreundschaft unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe erlebt haben. Fahrer_innen, die uns davon berichtet haben, wie sie Geflüchteten geholfen haben und wie sie sich gegen Diskriminierung in ihrem Land einsetzen. Immer wieder sind wir auf Menschen gestoßen, die sich engagieren, die hilfsbereit, offen und tolerant sind, die etwas verändern wollen und kein Verständnis für stumpfe Vorurteile haben!
Menschen, die schon jetzt Lust darauf machen, dass es endlich wieder losgeht, dass der Winter vorbei ist und wir mit denen Vorbereitungen für das Tramprennen 2017 starten können.
Wer ist dieses Wir eigentlich, das hinter dem Projekt Tramprennen steht? Wir, dass sind ein paar Freaks, die das Tramprennen irgendwann mal kennen und lieben gelernt haben und es seitdem aktiv mitgestalten. Jede_r so wie er/sie kann, alle in der Freizeit, oft nicht wirklich professionell, aber dafür mit viel Liebe. Deshalb bitten wir, manche Verspätungen, manches Chaos, falsche Shirtgrößen und die etlichen Ausdrucksfehler im Englischen zu verzeihen!
Und wir würden uns riesig freuen, wenn der/die ein oder andere Lust hat, in welcher Form auch immer, dieses Projekt mit dem Namen Tramprennen in der Zukunft zu unterstützen und weiterzutragen. Meldet euch einfach unter gro.nennerpmartnull@ofni, kommt zum ersten Planungstreffen 2017 und/oder bringt euch anderweitig mit ein. Wenn ihr keine Zeit, aber tolle Ideen habt: Teilt diese mit uns!
Wir können es nämlich jetzt schon nicht mehr wirklich erwarten, bis wir endlich wieder mit 20-25 Leuten an der Straße stehen und keinen Plan haben, was uns erwartet.
Eure Tramprennen – 2016 Crew
Links zum Tramprennen 2016:
NDR-Berichte:
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Um-die-Wette-trampen-bis-nach-Bulgarien,tramprennen102.html
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Daumen-raus-und-hoffen-Per-Anhalter-nach-Serbien,tramprennen142.html
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/2000-Kilometer-per-Autostop-und-wieder-zurueck,tramprennen190.html
Leos Videoblog:
https://www.youtube.com/user/Unknown952
Antjes Blog:
https://sternstunderacingteam.wordpress.com/
Funkhaus Europa:
https://www1.wdr.de/radio/funkhauseuropa/magazin/specials/weltweit-tramprennen-100.html